- römische Fachprosa: Fachbuch, Enzyklopädie und juristische Literatur
- römische Fachprosa: Fachbuch, Enzyklopädie und juristische LiteraturDas Interesse der praxisorientierten Römer hat neben den Lehrgedichten Prosaschriften entstehen lassen, in denen es in erster Linie um die Vermittlung von Fachwissen ging; in Länge und Stil unterscheiden sich diese Werke erheblich. Man griff beim Stoff und in der Methode meist auf griechische Vorlagen zurück, doch sind in diese Fachbücher sicher auch eigene Erfahrungen, Beobachtungen und Nachforschungen der Autoren eingegangen; das gilt vor allem für die Bücher über die Landwirtschaft des Cato, des Varro und des umsichtigen Spaniers Columella sowie für die Schriften des Vitruv »Über die Baukunst« und des Frontinus »Über die Wasserleitungen der Stadt Rom«.Wenn sich bis heute in der Grammatik aus dem Lateinischen stammende Begriffe gehalten haben (Nomen, Prädikat, Verb, Partizip), so gehen diese auf Übersetzungen der griechischen Terminologie zurück. Denn auch das grammatische Fachbuch ist keine Schöpfung der Römer; seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. hatte man neben anderen geistigen Anstößen von den Griechen auch deren Fragestellungen und Methoden bei der Beschäftigung mit der Sprache übernommen. Zu nennen sind zunächst das Werk des Varro »Über die lateinische Sprache« und das erste Buch aus seinen »Disciplinae«, dann im 1. Jahrhundert n. Chr. des Verrius Flaccus großes Lexikon »Über die Bedeutung der Wörter«; des Remmius Palaemon wichtige Schulgrammatik aus derselben Zeit fußte auf der Grammatik des alexandrinischen Gelehrten Dionysios Thrax. Große Bedeutung erlangten im 4. Jahrhundert n. Chr. das große Unterrichtswerk des Donatus und eine auch Teile der Rhetorik und Metrik einschließende umfangreiche Schrift des Charisius. Die umfassendste deskriptive Grammatik der Antike sind die 18 Bücher des Priscianus aus Caesarea in Mauretanien, der um 500 n. Chr. Professor der Grammatik in Konstantinopel war. Hier ist die grammatische Tradition der Antike noch einmal zusammengefasst; es finden sich Spuren von grammatischen Theorien aller Zeiten sowie Ansätze zu einer Syntax. Sie wurde zum Standardwerk des Mittelalters und der Renaissance.Neben Spezialschriften gab es in Rom schon früh das Interesse, das als wichtig erachtete Wissen insgesamt zu erfassen. Schon Cato war vielseitig schriftstellerisch tätig; Varro schrieb über Sprache und über Landwirtschaft auf gleich hohem Niveau und verfasste neben vielen verschiedenartigen Schriften eine (verlorene) Enzyklopädie. Von Celsus ist zwar nur eine medizinische Schrift erhalten, aber auch sie gehörte zu einem großen enzyklopädisch angelegten Werk, in dem auch Landwirtschaft, Kriegswesen, Rhetorik, Philosophie und Rechtswissenschaft ihren Platz hatten.Plinius der Ältere nimmt wegen seines umfassend ausgerichteten Gesamtwerkes eine besondere Stelle ein; es ist nur zum Teil erhalten. Bei seinem Tode hinterließ er seinem Neffen, Plinius dem Jüngeren, 160 auf beiden Seiten eng beschriebene Buchrollen: Er hatte eine kleine militärtechnische Schrift, eine Biographie, zwei große Geschichtsdarstellungen, ein rhetorisches sowie ein grammatisches Werk verfasst; von diesen Büchern finden sich Spuren bei späteren Autoren. Wir besitzen von ihm nur noch die »Naturalis historia« (»Naturkunde«) in 37 Büchern. Gewissenhaft gibt der ältere Plinius zu Beginn Rechenschaft über sein Ziel, seine Methode und die von ihm benutzten Quellen; von den insgesamt rund 470 Autorennamen sind etwa zwei Drittel griechisch. Freilich ist das mit ungeheurem Wissensdurst und immensem Fleiß zusammengetragene Material nicht kritisch geprüft, doch äußert sich Plinius öfter skeptisch und gibt Hinweise auf selbst Erlebtes oder selbst Gesehenes. Das Werk ist übersichtlich aufgebaut und behandelt nacheinander das Weltall, die Erde, den Menschen, die Tiere, die Pflanzen, die Heilmittel, die Mineralien; das Streben nach Vollständigkeit führt indes in den einzelnen Gebieten zu weiten Exkursen, so wenn Plinius von den Metallen über Fingerringe als Standesabzeichen zu einer Darstellung des römischen Ritterstandes kommt; ähnlich umgreift die Botanik die gesamte Landwirtschaft, bei der Behandlung von Metallen und Steinen wird eine ganze Kunstgeschichte mitgeliefert. Durchdrungen ist das Werk vom Interesse an den Wirkungen der Leben schaffenden Natur auf den Menschen. Diese Naturverehrung hat durchaus philosophisch-religiöse Züge. Die »Naturkunde« war bald schon weit verbreitet und fand bis in die Renaissance als wahre Schatzkammer des Wissens großes Interesse. Bewusst ohne systematische Ordnung oder gar philosophisches Konzept verfasste im 2. Jahrhundert n. Chr. Gellius eine bunt und gefällig gestaltete Sammlung von Abhandlungen über Themen aus den verschiedensten Wissensgebieten in 20 Büchern: »Attische Nächte« (genannt nach dem Ort ihres Entstehens); fast vollständig erhalten, ist diese Sammlung eine Fundgrube für Wissensstoff aus verlorenen Schriften früherer Autoren.Für einen Zweig allerdings der lateinischen Fachschriftstellerei gibt es in der griechischen Literatur keine Parallele: für die juristische Literatur. Dies hängt mit der Besonderheit des römischen Rechtswesens zusammen. Um 450 v. Chr. war nach dem Sturz des römischen Königtums das Recht auf zwölf Tafeln kodifiziert worden. Es blieb auch während der sich verändernden politischen Verhältnisse bis in die Kaiserzeit gültig, wurde aber durch aus besonderem Anlass beschlossene Gesetze ergänzt. Rechtsentscheide trafen nicht Juristen, sondern jährlich wechselnde Beamte und Geschworenenrichter, die sich bei den Rechtskundigen Rat holten. Diese standen jedermann zur Verfügung. Protokolle der knappen Antworten, »Responsa«, dieser Sachverständigen auf Fragen in bestimmmten Rechtsfällen stellen die älteste Form der juristischen Literatur dar. Daneben entstanden breitere Erörterungen einzelner Rechtsfälle. In »Digesten« wurden in systematischer Zusammenstellung Äußerungen eines Juristen oder einer Juristengruppe gesammelt. Der praktischen Notwendigkeit entsprachen Kommentare zum Zwölftafelgesetz, zu später hinzugekommenen Gesetzen und auch zu Schriften älterer Juristen.Das 2. Jahrhundert n. Chr. brachte die Hochblüte dieser kasuistischen, am Rechtsfall orientierten Literatur mit Aemilius Papinianus, Iulius Paulus und Domitius Ulpianus. Schon um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. entstanden erste Lehrschriften, die nicht auf die Rechtspraxis, sondern auf den Unterricht ausgerichtet waren: Erörterungen zu speziellen Rechtsgebieten sowie Versuche, den gesamten Stoff in einer angemessenen Weise darzubieten. Als erster bot Quintus Mucius Scaevola eine nach Stoffgruppen gegliederte Gesamtdarstellung des römischen Rechtes in 18 Büchern. Diesem und ähnlichen anspruchsvollen Handbüchern folgte um 160 n. Chr. ein Lehrbuch für den Anfangsunterricht: die »Institutionen« des Gaius, von dem weder der vollständige Name noch die Biographie bekannt sind; in Rom selbst zunächst kaum beachtet, setzte es sich alsbald im ganzen Römischen Reich durch; das Werk zeigt in seinen vier Büchern einen ausgefeilten systematischen Aufbau, die sprachliche Darstellung ist klar und genau. Von der großen, verschiedenartigen Masse der juristischen Schriften sind allein die Institutionen des Gaius fast vollständig erhalten.Die Kenntnis von Teilen der übrigen juristischen Literatur verdanken wir dem Entschluss des Kaisers Justinian um 530 n. Chr., das geltende Recht in einem großen Gesamtwerk, später als »Corpus Iuris civilis« bezeichnet, kodifizieren zu lassen: Auf ein verbindliches Anfängerlehrbuch mit Gesetzeskraft, die »Institutionen«, die sich eng an Gaius anschließen, folgen 50 Bücher »Digesten«, eine systematisch gegliederte Auswahl hauptsächlich aus den zahlreichen Schriften der Juristen, die das Recht hatten, Gutachten zu erteilen; schließlich in einem dritten Teil eine Sammlung kaiserlicher Erlasse von der Zeit Hadrians bis zur Zeit Justinians. Die strenge Sachlichkeit der lateinischen juristischen Prosa ist der ureigene Beitrag der Römer zur Fachschriftstellerei.Prof. Dr. Hans Armin Gärtner und Dr. Helga Gärtner
Universal-Lexikon. 2012.